Sie hatte sein Handy gefilzt, und ihr Verdacht bestätigte sich: Es gab eine andere Frau (bzw. es hatte eine andere Frau gegeben). Er gab das zu, hatte die Affäre aber bereits beendet. Nun begann die Aufarbeitung in der Beziehung, und die gestaltete sich schwierig.
Beide wollten die Beziehung gern retten. Sie hatte tausend Fragen, die weitgehend auf dasselbe hinaus liefen: Was hatte sie, was ich nicht habe? Er hingegen war außerstande, mit seiner Partnerin über die andere Frau zu sprechen. An dieser Stelle scheiterten alle Versuche, wieder miteinander klar zu kommen. Der Konflikt endete jedes Mal mit heftigem Streit.
Kurz vor der bereits beschlossenen Trennung entschieden sich die beiden dann für eine Online-Paarberatung. So lernte ich sie kennen. Tatsächlich ist das ein häufiges Problem. Auf der einen Seite haben wir SIE mit ihrem nachvollziehbaren Interesse, alle offenen Fragen beantwortet zu bekommen. Auf der anderen Seite haben wir IHN mit seiner gewissen Sprachlosigkeit, die man früher als "typisch männlich" bezeichnet hätte. (Vielleicht war es aber auch das diffuse Gefühl, dass selbst schonungslose Offenheit nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen, sondern alles nur noch schlimmer machen würde.) Auch ihn konnte ich gut verstehen.
Was haben wir gemacht? Ich habe die beiden gebeten, sich die vielen offenen Fragen wie einen gewaltigen Holzklotz vorzustellen, der zwischen ihnen stand. Er war viel zu schwer, um ihn weg zu schleppen. Aber jeder von beiden hatte eine Säge, mit der man ein kleines Stück des Holzklotzes absägen konnte. Und damit fingen die beiden nun an. Sie vermied es, von ihm die "totale Offenheit" zu verlangen. Er vermied es, überhaupt nicht zu sprechen. Beide begnügten sich mit kleinen Stücken des Holzklotzes.
Sie fragte zum Beispiel: Wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt? Und er war imstande, das in groben Zügen, wenn auch widerwillig, zu erzählen. Sie nahm ein weiteres Stück des Klotzes in Angriff und bat ihn, etwas vom ersten Date zu erzählen. Ihm war das zwar unangenehm, aber im von mir moderierten Gespräch mochte er auch nicht der "große Verweigerer" sein und ließ etwas darüber raus. So ging das einige Sitzungen weiter, und irgendwann ließ ihre Wissbegierde nach. Er atmete auf. Soviel ich weiß, konzentrieren sich die beiden jetzt wieder auf sich selbst.