Online-
Paarberatung

"Ich kann meinen Partner plötzlich nicht mehr riechen" 


"Ich weiß nicht, was  plötzlich mit mir los ist. Wir verstehen uns doch gut, sind seit über 10 Jahren zusammen und haben eigentlich überhaupt keine Probleme. Aber ich ertrage ihn plötzlich nicht mehr. Es muss doch an mir liegen, denn er ist ja so wie immer. Ich kann auch nicht mit ihm darüber reden, denn was soll ich denn sagen?" 


Die Frau im telefonischen Vorgespräch meiner Paarberatung ist hörbar verzweifelt. Sie schämt sich und kann sich kaum vorstellen, dass ich ihr Problem ernst nehme. Es ist in ihren Augen einfach zu lächerlich. Nur langsam taut sie auf und erzählt, was ihre Beziehung in die Krise gebracht hat. Buchstäblich über Nacht konnte sie den Körpergeruch ihres Partners nicht mehr ertragen. Sie mochte ihm auch nicht mehr näher kommen. Selbst ein Kuss kam für sie nicht mehr in Frage, keine Zärtlichkeit, Sex schon mal gar nicht. Sie schlief seitdem auch nicht mehr mit ihm in einem Bett. 


Ihr Partner hatte natürlich bald gemerkt, dass irgendwas nicht stimmte. Er hatte deshalb das Gespräch gesucht. Sie war ausgewichen, hatte körperliches Unwohlsein vorgeschoben, dann sein Schnarchen und anderes. Sie hatte einfach nicht gewusst, wie sie ihm die Wahrheit sagen sollte – weil sie die Ursachen ihrer plötzlichen Abneigung ja selber nicht kannte. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Die Hoffnung, das werde sich schon wieder legen, erfüllte sich nicht. Als Folge dieses unausgesprochenen Problems kam es zu der üblichen Kettenreaktion: Häufiger Streit, langsames Entfernen voneinander, erste Gedanken an Trennung usw. Da standen die beiden jetzt. Sie wusste nicht weiter, und er wusste ja ohnehin von nichts. 


Ich hatte zunächst einmal eine gute Nachricht für die Klientin. Was ihr so völlig grundlos und unerklärlich vorkam, passiert durchaus nicht selten. Sie war mit ihrem Problem also nicht allein. Das Phänomen des "plötzlichen Ekels" ist verbreiteter, als die meisten Menschen denken. Es kann jeden treffen: Frauen, Männer, frisch Verliebte, auch Leute, die schon lange in einer Beziehung leben und sonst überhaupt keine Probleme mit ihm/ihr haben. Mal ist es der Geruch, noch häufiger irgend eine lächerlich anmutende Kleinigkeit: Wie jemand in bestimmten Situationen guckt, was jemand sagt, wie er es sagt, eine spezifische Geste, die Art zu schlucken, das Knacken von Fingergelenken, irgend was völlig Harmloses. Man spricht vom "Sudden Repulsion Syndrome" (SRS).


SRS ist wissenschaftlich nicht erforscht. Es gibt keine seriösen Untersuchungen darüber, keine Statistiken, keine Ursachenforschung. Es gibt nur Vermutungen, woher SRS oft ganz plötzlich kommt. Wir bewegen uns hier also im spekulativen Bereich. Eine Vermutung ist, dass SRS eine Abwehrreaktion des Körpers gegen eine Beziehung ist, die einem schon lange nicht mehr gut tut – man hat es nur noh nicht gemerkt. Der Geruch, so diese Vermutung, ist eine Selbstschutzfunktion des Körpers. Sie sorgte früher in der Wildnis dafür, dass wir bestimmte Früchte, Beeren oder Wurzeln erst gar nicht probierten, wenn sie giftig waren. Vergleichbar also mit der Theorie, dass die Antipathie vieler Menschen gegen Spinnen daher rührt, dass giftige Insekten früher eben auch schon sechs Beine hatten und wir sie lieber meiden sollten. Aber das ist nur eine von mehreren unbewiesenen Vermutungen.


Eine andere geht so: Wenn wir verliebt sind, stellen wir ihn/sie auf eine Art Podest. Wir überhöhen den Partner. Irgendwann holt ihn unsere Psyche wieder herunter, das Unterbewusstsein sagt: Ich muss ihn von dem Podest heunter holen, weil es ihm nicht angemessen ist. Das Unterbewusstsein setzt dann die körperliche Antipathie in Gang. 


Noch eine andere Vermutung verordet das SRS im Bereich der emotionalen oder psychischen Überbelastung. Einfach ausgedrückt: Man befindet sich in beruflichem oder privaten Dauerstress, der das emotionale Gleichgewicht stört. Um das wieder herzustellen, reagieren wir mit Abscheu und Desinteresse auf das Nächstliegende, nämlich unsere Beziehung. Und schließlich gibt es auch die Vermutung, dass hormonelle Umstellungen den Geruchs- und Geschmackssinn beeinflussen können, und zwar positiv als auch negativ.


All das sind, wie bereits erwähnt, Spekulationen. Meiner Klientin leuchtete zunächst einmal keine davon so richtig ein. Was man denn gegen SRS machen könne, wollte sie wissen. Leider hatte ich nur eine schlechte Nachricht: Im Grunde nicht viel. Ob denn dann eine Paartherapie überhaupt sinnvoll sei, fragte sie. Ja – denn nun ging es darum, ihrem Partner möglichst schonend beizubringen, was da mit ihr passiert war. Alleine sah sie sich dazu nicht in der Lage. Wir haben das dann gemeinsam geschafft, allerdings hat die Beziehung das seltsame Phänomen SRS nicht überstanden.